Sobald wir als Neugeborene schreien, erfolgt der erste Atemzug unseres Lebens. Das Atmen und andere physiologische funktionelle Reize, wie das Abbeissen, Kauen, Schlucken, Sprechen werden zusammen mit der Erbanlage unsere Gesichtsform, Kieferstellung und Zahnstellung bestimmen.
Die neugeborene Rückbisslage des Unterkiefers wird im Zuge der Brüsternährung kompensiert. Mit dem Durchbruch der ersten Milchzähne beginnt eine Vielzahl neuer Erfahrungen, vom Quetschen wird das Kauen erlernt. Erst nach ca. 6 Jahre später sind wir soweit für den Durchbruch unserer definitiven Zähnen. Nun findet die zweite physiologische Bisshebung statt und das Gesicht nimmt allmählich vertikal zu.
Nach ca. 12 Jahren nach der Geburt haben wir unser permanentes Gebiss vervollständigt. Ein wichtiger Zeitpunkt unseres Lebens, denn der puberale Wachstumsschub (Mädchen zwischen dem 10. und 12. Lebensjahr, Jungen zwischen 12. und 14. Lebensjahr) wird die bisherige Zahnstellung und Kieferstellung verfolgen. Die Grundlage des Mittelgesichts und Untergesichts.
Als Jugendliche haben wir noch grosse Adaptationsfähigkeiten. Fehlstellungen des Kiefers oder des Zahnes können unbemerkt maskiert sein aufgrund der Kompensationsmechanismen oder eventuell noch ohne Beschwerden mitexistieren. Wir lernen mit ihnen umzugehen, wie zum Beispiel: wir lispeln, beissen unpraktisch, atmen durch den Mund, laufen nicht aufrecht. Sind diese Adaptionsmöglichkeiten ausgeschöpft, beginnen die Beschwerden und die Symptome: Zahnverlust, Schmerzen beim Zusammenbeissen, Kiefergelenksbeschwerden, Ateminsuffizienz, Rückenbeschwerden, häufige Erkältung und weiteres.
Unser grösstes Potenzial erfahren wir nicht, da wir nicht die Option haben, die optimale Grösse, Stellung und Position unserer Kiefer und Zähne selbständig auszuwählen. Diese Option haben wir zum Beispiel bei der Auswahl der richtigen Schuhgrösse. Wenn wir die Fussgrösse 42 haben, dann würden wir auch einen Schuh mit der Grösse 42 kaufen. Trotzdem können wir auch mit der Grösse 41 umgehen. Vielleicht ist es nicht so bequem, aber solange wir keine Verletzung bekommen, können wir damit weiterhin laufen, rennen und stehen, allerdings insuffizient. Der Fuss wird sich in der neuen Grösse adaptieren und er wird deformiert.
Nun sind wir Erwachsene. Unsere Gewohnheiten, die Umwelteinflüsse und unsere Gene haben die Stellung der Zähne, der Kiefer und die Architektur unseres Gesichts definiert. Es gibt zwar keine Wachstumsschübe, aber ein kontinuierlicher Wachstumsprozess (Remodeling) ist lebenslang vorhanden, allerdings ist die Richtung geschlechtsspezifisch. Das Gesicht der Frauen tendiert vertikal zuzunehmen und bei den Männern eher horizontal. Im Laufe der Zeit verlieren wir die Sichtbarkeit des Lächelns, da das Weichgewebe, wie die Oberlippe schneller wachsen im Vergleich zum Hartgewebe wie der Oberkiefer mit seinen Zähnen.
Ein früher Behandlungsbeginn hat den Vorteil, dass die Behandlung relativ einfach bei leicht beeinflussbaren Strukturen durchgeführt werden kann. Trotzdem ist die Therapie einer Zahnstellung und Kieferstellung in jedem Alter möglich. Die kieferorthopädische Behandlung dient der Wiederherstellung eines funktionsfähigen Gebisses, das in harmonischem Einklang mit dem Gesicht steht.